Wie 2 sich finden, um Partner zu werden…
Teil acht
Ich hatte in den vergangenen Wochen so viele für mich bedeutende Einsichten und einige wundervolle Erlebnisse mit Stella, dass ich ganz voll bin… beinahe übervoll… und gar nicht so recht weiß, wo ich mit meinen Erzählungen beginnen soll. Eine Sache, die ich quasi ‚mit meinem Herzen geschaut‘ habe, ist mir besonders wichtig. Also möchte ich ausprobieren, ob und wie mein Verstand hierfür die passenden Worte findet.
Für die, die unsere Geschichte noch nicht kennen, nochmal eine kurze Einleitung. Stella kam vor zwei Jahren in mein Leben. Sie ist eine temperamentvolle Dame und ein ‚unsicheres‘ Pferd. Die kleinste Zurechtweisung in der Herde, ließ sie mehrere Meter zur Seite springen. Im Umgang mit mir war sie übereifrig, schnell aufgeregt und legte jede Übung in einem rasanten Tempo zurück. Mit der Zeit wurde das besser, doch ich durfte lernen, noch viel ruhiger zu werden, um ihr zu helfen zu entspannen. Auf meiner Suche nach Tipps und Weisheiten hörte ich viel Wertvolles und noch mehr, was mir gar nicht half. Mir war klar, mein Pferd braucht eine gute Führung. Jippieheijeih! Was genau ist das bitte?
Klare Grenzen, sichere Bestimmtheit und etliche Kleinigkeiten im Umgang. Das berühmte ‚wer bewegt wen‘ und natürlich ‚mich durchsetzen‘. Hm. Also das Grenzen-Thema ist in Wirklichkeit ein Raum-Thema, habe ich für mich festgestellt. Ich finde, dieser Unterschied ist wichtig. Denn wenn wir Menschen von Grenzen reden, assoziieren wird damit, dass etwas ‚nicht erlaubt oder unerwünscht‘ ist. Diese Haltung hat mir überhaupt nicht geholfen. Mir hilft die Einstellung: Du kannst tun, was du willst, nur tu es nicht direkt neben mir. Die Grenze um meinen persönlichen Raum durfte ich lernen zu ziehen und seit ich meine Irritation über Stellas Gefühlsäußerungen abgelegt habe, gelingt mir das auch gut.
‚Sichere Bestimmtheit‘ ist eine facettenreiche Angelegenheit. Ich kann sicher sein, dass ich diesen oder jenen Plan habe und autoritär damit umgehen. Das ist wohl eher nicht damit gemeint, denn es führt zu Verhärtungen und Konfrontation. Es geht um meine Sicherheit, um eine innere Seins-Qualität. Wie selbstsicher ich wirklich bin, habe ich gemerkt, als knapp 500 kg um mich gehüpft, direkt neben mir gestiegen sind und ziemlich uninteressiert an meinen Signalen waren. Innere Sicherheit bedeutet für mich jetzt die Gewissheit, dass ich als Person in der Lage bin, mit allem, was sich bietet umzugehen. Es mag verdreht wirken, doch es ist ein Wissen, dass alles was geschieht, sich erstmal mit mir auseinandersetzen muss. Zu wissen, dass nichts in meinem Einflussbereich einfach nur geschieht, denn ich bin DA, hat mir Ruhe in beunruhigenden Situationen gebracht. Dazu musste ich lernen, weder mein Pferd noch mich zu überfordern und auch verantwortlich mit meinem Einflussbereich umzugehen. Aus meinem inneren ‚oh je, jetzt muss ich damit umgehen…‘ wurde ein ‚okay, was möchte hier geregelt werden?‘ Ich sehe jetzt klarer, erkenne früher und kann entsprechend auch eher Einfluss nehmen. Es ist also gut zu wissen, was ich will – doch es ist besser zu wissen, WER ich BIN.
‚Wer bewegt wen‘ finde ich ebenfalls trickreich. Ganz bestimmt ist es wichtig, meinen Grund und Boden zu halten und mich von den Bewegungen meines Pferdes wenig beeindrucken zu lassen. Also ‚schicken‘ lasse ich mich nicht und endlich habe ich es auch geschafft, mein instinktives Ausweichen zu unterbrechen. Der Impuls ist manchmal noch da, doch ich entscheide schnell genug um und stelle mich der Situation. Das ist sehr wichtig… vielleicht das Wichtigste im Umgang mit Pferden (und dem Leben) überhaupt. Zugleich ist auch hier stupide Sturheit überflüssig. Wenn ich mit Stella am Boden gemeinsam trabe, kann es vorkommen, dass sie verspielt ihren Kopf ein wenig wirft und leicht in meine Richtung biegt. Eisenhart meinen Kurs verfolgen, führt hier zu kämpferischer Auseinandersetzung. Ungesund, weil ich kein Pferd bin. Natürlich lenke ich sie von mir weg, während ich zeitgleich ganz leicht nachgebe, um neben ihr bleiben zu können. Es kommt sehr auf die Energie an, die im Spiel ist. Es kann nötig werden, zu wenden, zu stoppen, zu bremsen und für mehr Aufmerksamkeit zu sorgen. Alles ist besser als schieres ‚Platz da! Jetzt komm ich!‘ Dieser Umgang ist unhöflich und ich verbiete Stella ebenfalls, so mit mir umzugehen. Da ist es nur fair, wenn ich mich an die selbe Regel halte. Wir wollen doch eine Herde sein!
Immer wieder höre ich das: ‚Du und dein Pferd, ihr seid eine kleine Herde‘. Ja. Nur ich bin kein Pferd, was Stella natürlich aufgefallen ist. Sie fand es schwierig, eine Herde mit mir zu bilden, solange ich so sehr Mensch bin. Ganz ehrlich, ich sehe kaum Menschen, die mit ihren Pferden eine Herde bilden. Ich sehe Menschen, die Gefolgschaft fordern und mir erklären, sie seien ‚Leitstuten‘.
Wenn ich frage, was eine Leitstute denn ausmacht, werden mir ihre Rechte aufgezählt. Sie bekommt den besten Futterplatz, den besten Ruheplatz, sagt wo es wann hingeht und entscheidet, wer ihr wann wie nahekommen darf. Stimmt. Nur wie erwirbt sie sich diese Rechte? Antwort: Sie gibt der Herde Sicherheit. Immer die gleichen Antworten… aber, WIE tut sie das? Was macht sie denn zur Leitstute? Was wir beobachten sind doch nur die Auswirkungen, die ihre Position für uns sichtbar werden lässt. Sonst hätten wir ja überhaupt keinen Schimmer, wer die Leitstute ist. Wir werden doch nicht zur Leitstute, indem wir diese Auswirkungen für uns einfordern! Da ich mich mit diesem Thema wirklich schwergetan habe, habe ich entsprechend tief und gründlich gesucht, um MEINE Antwort zu finden.
Pferde leben im Matriarchat, vergessen wir das nicht. Wir Menschen seit einigen tausend Jahren im Patriarchat, was in mancher Hinsicht zu großer Blindheit geführt hat. Mir scheint, die Leitstute ist in allererster Linie eine starke Mutterfigur. Sie sorgt in erster Linie für Nachwuchs und qualifiziert sich für diese Position durch eine starke Mütterlichkeit. In unserer Gesellschaft ist Mütterlichkeit ebenso wie Weiblichkeit ein patriarchal verzerrtes Konzept. Schauen wir die Pferde an (die der Erdmutter so nah sind), erleben wir Anmut, Kraft, Mut, Stolz, Weisheit, Kampfgeist, Zartheit, Feingefühl, Weitsicht, Fürsorge, Ausdauer, Zusammenhalt …. meist ganz unromantisch und wenig zimperlich.
Eine Mutterstute – die automatisch für ihr Fohlen immer Leitstute ist – ist in der Lage einen gezielten Tritt mit maximaler Kraft gegen einen ‚Angreifer‘ zu setzen und ZEITGLEICH ihr Fohlen mit äußerster Zartheit aus der Gefahrenzone zu dirigieren. Sie ist sozusagen vorne und hinten im selben Moment mit gegensätzlichen Energien beschäftigt. (Mark Rashid erzählt, wie er das miterlebt hat).
Eine gute Mutter ist sich stets der Befindlichkeit ihres Fohlens bewusst. Sie wehrt nicht nur umsichtig und effektiv Gefahren ab, sie spürt auch, was ihr Fohlen bewegt und beunruhigt und sorgt für Entlastung und Unterstützung.
Die Mutterstute setzt ihren Impuls, bevor das Fohlen Angst bekommt (daher die Regel: Agiere bevor dein Pferd agiert). Schutz und Sicherheit geben bedeutet, Angst gar nicht erst aufkommen zu lassen. Es bedeutet auch, es mit JEDEM Feind aufzunehmen, der für mein Fohlen bedrohlich ist. Für mich bedeutet das auch, wenn sich mein Pferd durch die Zivilisation bedroht fühlt, muss ihre Sicherheit für mich an erster Stelle stehen. Ich brauche die innere Bereitschaft, mich schützend vor mein Pferd zu stellen und ‚meiner eigenen Welt‘ die Stirn zu bieten. Diese Stärke, die ich gegen die Bedrohung wende, darf absolut sein, während ich ZEITGLEICH mit äußerster Umsicht und sanft meine Stute anleite. Auch ich muss in der Lage sein, ruhig und klar zwei entgegengesetzte Kräfte zu leben.
Es gab verschiedene Situationen, in denen mir aufgefallen ist, wie wichtig es für Stella ist, dass ich physisch und energetisch einen Schutzraum für sie schaffe. Sie ist vielleicht noch mehr ‚Baby‘ als ich dachte. Ein noch unsicheres Pferd eben. Noch nicht erwachsen, noch zu unerfahren, haltlos und wenig stabil.
Natürlich kannst du dein Pferd auch Desensibilisieren. Da das Leben voll ungeahnter Reize ist, ist es mir lieber, mein Pferd lernt, mir zu vertrauen. Das allerdings kann sie nur lernen, wenn ich sie nicht in Gefahr bringe und pferdisch-fein auf ihre Spannungen eingehe. Rückzug und Annäherung, schauen lassen und stets nur kleine Häppchen. Entlastung bringen, bevor Not entsteht, damit es für Stella möglich ist, in allen Situationen mit mir in Kontakt zu bleiben. Ich habe aufgehört, Situationen vermeiden zu wollen und begrüße neuerdings Herausforderungen. Denn mit jeder Hürde, die wir nehmen, begehrt auch Stella nach einem größeren Lebensradius.
Mein Fazit: Führen ist eine Dienstleistung
Leitstuten sind in sich ruhende Pferde, die ihrer Herde einerseits viel Freiheit lassen, andererseits sehr fein spüren, was ihre Schützlinge benötigen und so den emotionellen Raum halten. Sie schenken Trost, geben Schutz, beenden manchmal einen Streit und lassen sich durch Vorwitzigkeiten kaum aus der Ruhe bringen. Wenn es sein muss, reicht einmal Stampfen mit dem Fuß oder ein kurzer Biss. Sie haben genug Erfahrung, um ihre Herde nach Möglichkeit keinen Gefahren auszusetzen und glänzen durch kraftvolle Ruhe. Weiblichkeit in Vollendung.