Vertrauen und Respekt

Wie 2 sich finden, um Partner zu werden…

Teil elf

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich eine schwere Krise im Umgang mit Stella. Ich erzähle davon in meinem Buch ‚Stella Compañera – ein Stern begleitet mich‘. Damals lag unser Umzug auf den neuen Hof erst wenige Monate zurück und ich war in die Ego-Falle des Ehrgeizes gefallen. Beladen mit Erwartungen und Forderungen hatte ich Stella ausreichendsauer gemacht, dass sie die Flucht ergriff, wenn sie mich mit dem Halfter kommen sah. Die Tragödie endete damit, dass ich mir bei einem ‚Einfangversuch‘ das Kreuzband riss und zum ersten Mal anerkannte, dass ich mit ihr scheiterte. Mir blieb nur eines: Stella in andere Hände zu geben oder meine Wege gründlich zu überdenken. Stella aufgeben, das geht nicht. Sie ist das wundervollste Geschöpf, das mir je begegnet ist. Also suchte ich nach neuen Wegen und ging durch eine tiefe Selbstprüfung.

Drei Bücher fand ich, die mir die ersten Schritte zeigten: Sprachkurs Pferd, Das Lexikon der Pferdesprache und Persönlichkeitsentwicklung mit Pferden. Ich begriff, dass ich das Problem war und dass es allerhöchste Zeit wurde, zu erkennen, was Stella versuchte mir zu sagen.

Immer war ich davon ausgegangen, dass sie all das, was andere Pferde können und tun auch können muss. Obwohl ich nichts von ihrer Vergangenheit wusste. Ich ahnte nicht, wie weit vorne, nämlich ganz am Anfang, ich mit ihr beginnen musste. Mein Blick war ungeschult. Wonach sollte ich schauen? Und was bedeutete das, was ich sah? Niemand konnte mir helfen – so schien es damals. Also übte ich mich, noch feiner zu werden. Ich übte Pferdesprache und Stella begann sofort Notiz von mir zu nehmen. Ich übte innere Ruhe und Stille und vor allem: ich übte, meine versteckten Forderungen loszulassen. Frei von Erwartung zu sein. Das alles ist gar nicht so leicht, doch schon in wenigen Wochen kam Stella wieder auf mich zu gelaufen, wenn ich sie besuchte.

Solange keine Außenreize auf uns einströmten, klappte es schon ganz wundervoll mit uns… dachte ich. Doch tief in Stella blieb Sorge und Argwohn. Ein Unbehagen, aus dem heraus sich schnell Spannung aufbaute. Ich wusste nicht, was ich tun konnte. Ihre Aufruhr schien ganz plötzlich zu kommen. Ich sah die frühen Zeichen nicht. Gerne hätte ich früh genug für sie gesorgt, wenn ich erkannt hätte, worum es ging. Es schien mir, dass Stella ohne Vorwarnung entschied, wann mit etwas Schluss war und dann vehement ihrem Entschluss Ausdruck gab. Eine tickende Zeitbombe. Ich spürte ihre Angst und auch ihren Widerwillen. Beidem stand ich eher ratlos gegenüber.

Als Stella diesen Winter mit Einbruch der Kälte wieder dynamisch in ihrem Ausdruck wurde, beschloss ich, die Fehler vom letzten Winter keinesfalls zu wiederholen. Ich hatte viel an meinen Grenzen und an meiner Konsequenz gearbeitet und war ein kleines bisschen enttäuscht, dass sich manche Themen zwischen uns einfach nicht aufklären wollten. Also suchte ich wieder nach Anleitung, nach erhellenden Hinweisen aus der Pferdemenschenwelt. Ich begriff nur langsam. Ralf Modes gab mir auf einen meiner Kommentare die Antwort „Es kommt nicht darauf an, dass sie mit dir geht, sondern WIE sie es tut“. Naja, dachte ich, sie geht halt neben mir, ohne Theater. Das schien für mich kein Thema, doch es blieb in meinem Geist haften. Ein paar Wochen später schickte ich Ralf ein Video von Stella und mir in der Scheune, die uns als Halle dient. Ralf gab mir (hier in Kurzversion) den Tipp, bei allen Unternehmungen Anspannung zu vermeiden und bei offensichtlichen Versuchen von Stella, die Kontrolle zu übernehmen, früher Grenzen zu setzen. Ich überlegte, wie ich das tun sollte, denn die Anspannung begann ja oft schon vor der Halle oder beim Öffnen der Türe. Und dann wurde mir klar, dass ich noch viel kleinere Schritte mit ihr üben musste und noch viel achtsamer werden.

Seither übe ich mit Stella Mini-Schritte. An manchen Tagen geht sie schon ruhig mit mir durch die Halle. Dann ist das Licht anders oder die Heuballen liegen anders und wir beginnen wieder mit ‚ein Schritt – Stehen – ein Schritt…‘. Und langsam lernt sie bei mir zu bleiben, auf mein Urteil zu vertrauen und ihre Fluchtimpulse zu unterbrechen. Wenn sie sehr angespannt ist, schnappelt sie gerne nach mir oder dem Seil. Ich habe herausgefunden, dass das ein Alarmzeichen für beginnende Überforderung ist. Dann spiele ich mit weichen Fingern mit ihren Lippen und das scheint sie zu beruhigen. Wenn es mir doch passiert, dass ich zu schnell vorgehe und sie in Aufruhr gerät, kann ganz ruhiges Weitergehen helfen. Doch nicht immer. Wenn tatsächlich etwas da ist, was sie beunruhigt, kann es auch sein, dass sie mich sehr aufmerksam bei sich braucht. Ich gebiete ihr jetzt Einhalt und obwohl sie noch mit sich kämpft, wahrt sie jetzt meinen Raum, steigt so gut wie gar nicht mehr und ist äußerst bemüht, an meiner Schulter zu bleiben. Dann bleiben wir stehen, bis sie etwas entspannt. Das ging vor drei Monaten noch überhaupt nicht. Stehen bleiben trotz Anspannung, geschweige denn sich beruhigen. Jetzt geht das. Und mit einzelnen Schritten gehen wir dann, bis wir wieder ganz beisammen sind.

Warum erzähle ich das?

Weil so gut wie alle Menschen, die Stella und mich zusammen sehen davon überzeugt sind, dass Stella mir vertraut. Schließlich kommt sie freudig zu mir gelaufen. Und weil die meisten Menschen, genau wie ich selbst, davon ausgehen, dass Stella schon ganz viel kann. Beides stimmt nur zum Teil.

  1. Stella war roh, als sie mit knapp acht Jahren nach Deutschland kam. Da bin ich mir jetzt sicher, denn auf dem spanischen Verkaufsvideo ging sie nicht mal ordentlich am Halfter. Vier Monate später wurde sie als zugeritten in Deutschland weiterverkauft. Das sind ganz andere Voraussetzungen, als die meisten Leute hier mit ihren Pferden haben und wenn ich das nicht in Betracht ziehe, führt das zu Fehlurteilen und Fehlerwartungen.
  2. Erst in den letzten Wochen, in denen ich nichts anderes als Führtraining mit Stella geübt habe, wurde mir klar, wie instabil das Vertrauen zwischen uns war und noch ist. Und dass es eben nicht darum geht, was Stella schon kann, sondern WIE sie es kann.
  3. Sie hat gelernt, dass Übungen verlangt werden und hat sie hinter sich gebracht. Doch sie war nicht dabei. Ihre Füße waren da, aber nicht ihr Kopf und schon gar nicht ihr Herz.

Gestern ging ich mit ihr den schmalen Weg zur Halle. Und seit wir auf dem Hof sind, das sind jetzt 16 Monate, ging sie diesen Weg zum ersten Mal nicht nur in Gelassenheit, sondern mit einverstanden-sein. Viele Dinge zwischen uns gehen immer leichter, weil langsam echtes Vertrauen zwischen uns wächst.

Die Basis: Respekt, immer feiner werden, die Signale noch früher erkennen und den eigenen Anspruch nicht aufs Pferd projizieren. Dann kann Vertrauen wachsen und dann erst kommt alles andere.

Dieser Winter, in dem nach außen hin so wenig geschieht, ist für mich gespickt mit beglückender Entwicklung. Danke an alle, die mir auf diesem Weg beistehen!