Eine ereignisreiche Wanderung mit einem Jungen Pferd

Wie 2 sich finden, um Partner zu werden…

Teil zwei

Stella liebt es, auf Entdeckungsreise zu gehen. Mit wachen und glänzenden Augen blickt sie in den Wald. Erst einmal waren wir ganz kurz hier. Sofort wurde ihr Schritt weich und federnd. Der Waldboden, die langgezogenen bewachsenen Wege und endlich neue Ausblicke! Sie war sichtlich ergriffen und freudig.

Gestern begleiteten uns zwei Freundinnen mit ihren Stuten. Stella geht, selbst wenn sie langsam geht, recht flott. Es fiel ihr nicht so leicht, auf einer hinteren Position zu bleiben und gebremst zu werden. Wir übten wie so oft ‚schritt – stehen – schritt‘ und das brachte ihre Aufmerksamkeit besser zu mir. Bergauf und bergab, sich durch die Bäume fädeln und über Hindernisse steigen. Stella kennt das alles noch aus unserem ersten Jahr. Da waren wir ständig im Wald.

Ihr Gesicht ist zufrieden, doch natürlich ist der Ausflug anstrengend. Weniger wegen der Übungen. Die sind wichtig, um ihren Kopf bei mir zu behalten, während ihre Füße nur allzu leicht ein Eigenleben entwickeln. Zweimal erschrecken sie Hasen und sie macht ein paar Galoppsprünge. Sie kennt das Gebiet noch nicht und nach ein paar Abzweigungen bemerke ich, dass sie die Orientierung verliert. Sie würde wohl nach Hause finden, doch sicher ist sie nicht. Ihre Anspannung erhöht sich und sie geht vorbildlich damit um.

Ihre Position zu den beiden anderen Stuten sorgt auch für Spannung. Stella geht in fremden Gebieten schneller, als ihr gut tut. Sie braucht es, ab und zu stehen zu bleiben und zu schauen und runter zu kommen. Ich baue das in unsere Spaziergänge ein und es tut ihr gut. Doch als ich gestern mit ihr kurz stehen bleibe, ist Stella nur wenige Sekunden erleichtert. Denn die beiden Stuten vor ihr gehen ganz langsam wenige Schritte weiter und sofort keimt Sorge in Stella auf, sie könnte den Anschluss verlieren. Normal ist sie nicht so, doch diese beiden sind in ihrer Herde und beste Freundinnen. Also mache ich nur wenige Pausen und nur ganz kurze und dafür zwei längere Pausen gemeinsam als Gruppe. Stellas Gesicht ist zufrieden, doch ihre Spannung wächst. Es ist spürbar und auch sichtbar. Wir haben es nicht mehr weit nach Hause und obwohl Stella keine ist, die Stalldrang hat, weiß ich, dass die Stallnähe in diesem Fall eine Anziehungskraft hat. Sie hat sich lange genug gebremst und muss die Anspannung loswerden. Also taucht sie mit ihrer Nase ins Gras, um hektisch zu fressen. Stressabfuhr. Ich sammle sie wieder auf, gebe ein kleines doch bestimmtes Signal mit der Gerte, und sie trabt ein Stück vor mich. Ich bremse diese Bewegung ebenfalls… und das ist zu viel. Sie steigt, kommt auf ihre Füße, steigt noch einmal, dreht auf der Hinterhand und galoppiert pfeilgerade von mir weg… das Seil im Schlepptau.

Adios – und ich schicke Stoßgebete zum Himmel!

Ich konnte sie nicht halten. Ein weiches Halfter, keine Handschuhe und ein leichtes Biothane Seil sind nicht wirklich die Ausrüstung für so eine Situation. Und ich habe schon so lange keinen ‚Zwischenfall‘ mehr mit Stella gehabt, dass ich vielleicht etwas zu risikobereit war. Wie dem auch sei. Das schöne Pferd, kraftvoll mit wehender Mähne… ist außer Sichtweite. Unsere kleine Gruppe sammelt sich gerade wieder und wir wollen zum Stall, wo wir vermuten, dass Stella auf uns wartet, da hören wir Galoppsprünge und sie kommt ebenso schnell, wie sie weg lief, wieder auf uns zu. Martina steht ganz vorne, hebt ihre Hände und macht ein beruhigendes Geräusch, denn Stella scheint nicht zu bremsen. Da biegt sie in eine Kurve zwischen die Laubbäume und kreist dort, bis sie sich beruhigt hat und sich ca. 4 Meter von mir in den Wald stellt und sich ruhig abholen lässt.

Sie ist aufmerksam, nicht mal außer Atem. Einen Teil ihrer Spannung ist sie losgeworden und wir können weiter gehen. Ich bin froh, dass sie unverletzt ist und freue mich, dass sie wieder zu uns kam. Doch der letzte Teil des Weges führt steil bergab. Das heißt: wieder sehr langsam gehen. Stella gibt sich größte Mühe. Sie kämpft mich sich und geht vier Schritte mit mir superlangsam. Dann gibt sie ein leichtes Grummeln von sich, schlägt den Kopf hin und her, fällt in Trab und galoppiert den Rest des Weges. Unten angekommen kreist sie um die Bäume und kommt zum Gatter als wir es erreichen.

Dieses sehr langsam mit mir gehen, kann sie noch nicht sehr lange. Stella ist ein schnelles Pferd und Impulskontrolle lernt sie mit ihren 10 Jahren nur langsam. Ich habe die letzten acht Monate sehr an mir gearbeitet, um sie besser dabei unterstützen zu können. Und so kann ich in diesen Situationen ungewöhnlich ruhig bleiben, was enorm hilft. Dennoch: wünschenswert ist was anderes. Ich kenne Stella, wenn sie widerspenstig ist, unwillig oder trotzig. Das hier war anders. Die ganze Zeit gab sie sich alle Mühe. Es brach aus ihr heraus, weil sie die Spannung nicht halten konnte. Wir waren zu lange in einer fremden Umgebung und in ungewohnten Umständen unterwegs. Ich hatte keinerlei Zeitgefühl und umkehren hätte wenig gebracht, um die Spannung zu lindern. Irgendwann ist der Rückweg kürzer, wenn man weiter geht. Ich hätte sie unterwegs einfach grasen lassen können, das hätte die Spitze evtl. genommen… oder nur etwas verschoben. In jedem Fall werde ich auf unserem nächsten Spaziergang wieder Handschuhe, ein schwereres Seil und Knotenhalfter dabei haben. Und ich werde kürzere Wege wählen.

Wir gehen gemeinsam ruhig durch das Gatter und stehen auf Stellas Koppel. Für eine Sekunde blitzt der Gedanke in mir auf, ich sollte den Führstrick lösen. Ich werde wieder mehr üben, auf diese Eingebungen zu hören. Stella galoppiert eine weitere Runde, bleibt stehen, blickt uns an, kommt ein paar Schritte auf uns zu und wartet dann, bis sie abgeholt wird. Gemeinsam gehen wir alle durch die Furt und in den Stall. Mein Mädchen ist hungrig.

Und heute? Da stand sie mit den beiden anderen Stuten mit erwartungsvoll glänzenden Augen am Tor zum Wald. Doch heute habe ich eine Pause gebraucht.

Weiter in Teil 3